Mitgliederrundbrief vom 31. Dezember 2023

Wilstedt, 31. Dezember 2023

Guten Tag liebe Mitglieder,

nach den sicher vielfachen kulinarischen Weihnachtsgenüssen wünschen wir allen noch entspannte Tage bis zum Jahreswechsel und dann einen erfreulichen Start in das neue Jahr mit besten Wünschen für die Gesundheit.

Bereits am 31.Oktober endete das Geschäftsjahr unserer Genossenschaft, mit dem wir uns, abweichend vom Kalenderjahr, an den Ernterhythmus der Olive anpassen. Die Inventur ist beendet, und bei einem ersten Überblick werden wir nach dem Verlust im letzten Jahr das Geschäftsjahr wieder mit einem wenn auch kleinen positiven Betriebsergebnis abschließen. In dem schwierigen Umfeld der anhaltenden multiplen Krisen mit der allgemein spürbaren Kaufzurückhaltung war das kein leichtes Unterfangen. Das vor uns liegende Geschäftsjahr 2023/24 wird uns nicht weniger stark herausfordern und in manchen Belangen vor neue Situationen stellen, die auch neue Antworten erfordern.

Nach den erntestarken Jahren 2020/21 mit einer europäischen Gesamtproduktion von 2,1 und 2021/22 mit 2,3 Millionen Tonnen Olivenöl, sank sie 2022/23 auf nur noch 1,4 Millionen Tonnen. Mit Überhängen aus dem Vorjahr konnte das geringe Angebot die Nachfrage noch ausgleichen. Die Ernte 2023/24 fiel nun mit 1,3 Millionen Tonnen erneut niedriger aus als sie die bisher übliche Nachfrage decken kann. (Alle Daten sind der Eurostat-Statistik entnommen.) So haben wir erstmals die allgemeine Marktsituation, dass eine Missernte nicht durch Überhangmengen aus dem Vorjahr ausgeglichen werden kann und die Nachfrage das Angebot in größerem Umfang übersteigt.

Länger ist es schon zu beobachten, dass Olivenöle aus den wöchentlichen Werbeprospekten der Discounter verschwunden sind und ein kontinuierlicher Anstieg der Preise für Olivenöl in den Supermärkten und Discountern festzustellen ist. Verbraucher und Verbraucherinnen werden damit schrittweise an zu erwartende hohe Preise für die kommende Saison herangeführt. Kostete bei Discountern im Frühjahr eine 0,75l Flasche Olivenöl noch 4,39 Euro, steht sie aus der gleichen Ernte 2022/23 in gleicher no name-Qualität aus EU-Anbauländern bereits bei fast 10,00 Euro im Regal. Trotz der gleich gebliebenen Einkaufspreise der letzten Ernte ergeben sich dadurch höhere Gewinnmargen, die gerne mitgenommen werden. Auch in den Rezeptempfehlungen der Werbeschriften des Handels kommt Olivenöl nur noch selten vor, stattdessen werden Raps- und Sonnenblumenöl empfohlen, die als raffinierte Speiseöle nun zu den früheren Preisen für Native Olivenöle Extra angeboten werden, womit sich auch ihr Preis mehr als verdoppelt hat.

 

Was ist passiert?

Auch in unseren Breiten führte der Klimawandel in diesem Jahr zu größeren Verlusten der Landwirte. Was sich in mediterranen Regionen schon länger abzeichnet, überzog in diesem Jahr viele Regionen auf der Welt und in ganz Europa, oft in extremer Ausprägung. Zur „falschen Zeit gab es immer das falsche Wetter“. Im Juli konnte wegen häufigen Regens bei uns in Norddeutschland die Weizenernte nicht begonnen werden, die Körner verloren mit jedem Regentag an Qualität, so dass das Korn zum Schluss nicht mehr als Brotgetreide, sondern nur noch für die Biogasanlage taugte. Und auch Kartoffeln verfaulten vielfach in zu nasser Erde. Zur Blütezeit der Olivenbäume im Frühjahr war es in manchen Regionen mit Temperaturen von bis zu 40°C zu trocken und zu heiß, so dass viele Blüten vertrockneten. Im Anschluss daran folgte wochenlanger Regen, so dass noch erhalten gebliebene Blüten verfaulten und sich keine Fruchtansätze bildeten. Allein in Andalusien führt das zu einem Ernteausfall von in etwa 40% im Vergleich zum 5-Jahres-Durchschnitt (Quelle: Olive Oil Production Forecast der ESAO – Escuela Superior del Aceite de Oliva). Da Spanien fast 45% des weltweiten Anteils an Olivenöl produziert, hat allein dieser Verlust schon erhebliche Auswirkungen auf das Marktgeschehen. Abgesehen von einigen klimatischen Nischen erfassten die fatalen Wetteranomalien alle mediterranen Regionen. Ein Beispiel: Im September fegte ein Hagelsturm mit faustgroßen Eisklumpen durch das mittlere Apulien, beschädigte sehr viele Oliven und dezimierte eine bis dahin hoffnungsvolle Ernte stark. Unsere Oliviers von der Cooperative Emanuel De Deo aus Minervino und Giuseppe Lombardi aus Andria im nördlichen Apulien hatten Glück, ihre Haine blieben davon verschont.

Aber auch wer sich, wie auch Gunther & Klaus Di Giovanna auf Sizilien, noch auf erträgliche Mengen von Oliven an seinen Bäumen gefreut hatte, schaute in der Olivenmühle dann auf nur geringe Mengen Olivenöl, die aus dem Separator flossen. Langanhaltende Trockenheit, die wie auf Sizilien über vier Monate andauerte, hatten die Oliven „nicht gefüllt“. Als Besonderheit unter Früchten bildet die Olive aus dem Fruchtzucker, der sich wie in jeder Pflanze über die Fotosynthese in den Pflanzen- oder Fruchtzellen bildet, eine einfach ungesättigte Fettsäure – das Olivenöl – aus, als eine besonders stabile Form der Energiereserve. Die Pflanze oder Frucht benötigt für die Zuckerbildung Licht, CO2, Chlorophyll und Wasser. Dort, wo der sonst ab September wiedereinsetzende Regen ausblieb, bildete sich daher nur wenig Fruchtzucker und in der Folge auch nur wenig Olivenöl.

 

Was kommt auf uns zu?

Die ökologischen und klimatischen Herausforderungen
Witterungsbedingte Missernten gab es immer mal wieder. Sie blieben zumeist aber regional begrenzt, so dass wir mit solidarischen Unterstützungen wie dem OlioSoli den Betroffenen helfen und fehlende Mengen über andere Oliviers ausgleichen konnten. Ungünstige Klimatische Einflüsse mit außerordentlichen Folgen für die Ernte haben sich in den letzten Jahren aber in immer schnelleren Folgen gehäuft.

Für Dimitrios Sinanos (Olivenöl No.23) fällt die Bilanz der letzten sechs Jahre mit zwei sehr guten, zwei knapp mittelmäßigen und zwei Totalausfällen der Ernte besonders bitter aus. Auch in diesem Jahr hängen in der ganzen Region Korinth wieder nahezu keine Oliven an den Bäumen. Dimitrios wird nun versuchen, mit anderer Arbeit Geld zu verdienen, um seine sechsköpfige Familie zu ernähren. Erspartes wird noch reichen, um die landwirtschaftlichen Kosten zur Vorbereitung der nächsten Ernte zu bezahlen. Wenn diese dann nicht erfolgreich wird, stellt sich für ihn die Existenzfrage als Olivenlandwirt. Aktuell steht er mit seiner Situation stellvertretend für sehr viele der kleineren und mittelgroßen Olivenlandwirte in allen mediterranen Regionen.

Auch Ioannis Fronimakis hat zusammen mit seiner Nichte Maria und seinem Neffen Niko einen nahezu totalen Ausfall der Ernte zu beklagen. Hier kam zu den heißen und trockenen Tagen zur Blütezeit im Frühling ein weiterer Verlust durch unzeitig frühen Regen im Sommer dazu, der die Populationen der Olivenfliegen zu früh entstehen ließ. Das wenige Olivenöl, das aus den nun vielfach von Larven beschädigten Oliven gewonnen werden konnte ergab mit hohen Säuregradwerten nur Lampant-Olivenöl, eine Qualität, die ohne vorherige Raffination nicht zum Verzehr geeignet ist.

Allein die Umstellung auf kontrolliert biologischen Anbau reicht nicht mehr aus
Mit der Umstellung auf kontrolliert ökologischen Anbau haben wir von Anbeginn die Olivers unterstützt, damit sie ihre intensive Landwirtschaft stärker in den Einklang mit der Natur bringen können. Angesichts der wachsenden Geschwindigkeit des Klimawandels diskutieren wir schon länger noch tiefgreifendere Maßnahmen. Mit der Bildung einer Fachgruppe zu Methoden der Agroforstwirtschaft suchen wir neue Wege für eine Transformation des Olivenanbaus, um insbesondere die Widerstandskraft der Böden mit größerer Fähigkeit zur Wasserspeicherung gegen die Folgen des Klimawandels zu stärken. In den Herbst-Auskünften hatten wir über die Fortschritte dazu berichtet. Allein die Klimasituation in diesem Jahr wird uns mit ihren Folgen „kaum Luft zum Atmen geben“, auch weil die Klimaforscher für das kommende Jahr keine Besserung prognostizieren.

Die preislichen Herausforderungen
Mit den klimabedingten Ernteausfällen und der vielfachen Ertragsschwäche der verbliebenen Oliven wird die weltweite Nachfrage für das kommende Jahr nur noch zu ca. 60% gedeckt werden. Wie eingangs ausgeführt, hat es das in diesem Umfang bisher noch nicht gegeben. Damit stehen wir vor einem hochspekulativen Markt, in dem die Tonne Olivenöl durchschnittlich 61% teurer gehandelt wird und der Verbraucher bereits jetzt 43,5% mehr bezahlen muss als im Vorjahresmonat, obwohl das Olivenöl der aktuellen Ernte nur vereinzelt auf den Markt gekommen ist (Statistisches Bundesamt). In den mediterranen Ländern ist Olivenöl nicht ein, sondern das Grundnahrungsmittel. Ein relevanter Teil der Bevölkerung wird sich Olivenöl zu diesen Preisen gar nicht mehr leisten können. So berichten unsere Oliviers aus ihren Regionen, dass sich derzeit private Haushalte mit dem Kauf von 20 Liter-Kanistern Olivenöl noch aus den Angeboten der Ernte 2022/23 die Keller voll stellen.

Auch unsere Erzeugerpartner und -partnerinnen sind von Ausfällen betroffen und auch bei guter Ernte können sie sich nicht vollständig der Marktdynamik entziehen. Mit den Abwehrmaßnahmen gegen die Klimafolgen haben sich ihre landwirtschaftlichen Kosten in diesem Jahr überproportional erhöht. So suchte Jose Gálvez (Olivenöl No.13) recht erfolgreich die Blüten und Fruchtansätze durch Bewässerung bei der Hitze und Trockenheit zur Blütezeit zu retten. Allerdings stiegen damit seine Wasserkosten um 30% und Wasser ist in den mediterranen Ländern schon lange kein billiges Gut mehr.

In all diesen Auswirkungen werden auch wir von den größeren Preiserhöhungen nicht unberührt bleiben, wenngleich unser Konzept der solidarischen Landwirtschaft mit langen Partnerschaftsbeziehungen uns dabei Spielräume ermöglichen wird, die andere nicht haben.

Kurz- und langfristige Aktivitäten und Maßnahmen werden gleichermaßen dringlicher

Mit der jetzt eingetretenen Situation wird die bereits länger schon eingeleitete größere Dynamik der Klimaveränderungen nun unübersehbar. Die vor uns liegende Zuspitzung wird nach einem Jahr nicht verschwunden sein, auch wenn die Ernte dann vielleicht wieder besser ausfällt. Die darunter liegenden, klimabedingten Strukturprobleme werden auf hohem Niveau weiterwirken und großen Einfluss auf die Ökonomie behalten. Mit unserem Konzept der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft und der solidarischen Landwirtschaft konnten wir Ernteausfälle und vereinzelte Krisen bisher noch gut mit dem OlioSoli abfedern. Aber der Geschwindigkeit wegen, mit der sich Krisenzuspitzungen häufen werden – womit wir in dieser Form nicht rechnen konnten –, werden wir unsere Bemühungen weiter ergänzen und konzeptionell erweitern müssen. Das wird leider nicht alles so schnell gehen, wie wir uns das gerne wünschen. Vieles von dem, was wir begonnen haben – wie Agroforstwirtschaft und Kreislaufwirtschafts-Olivenmühle –, befindet sich noch im Stadium der Forschung und Entwicklung, des Experiments, der Erprobung und muss in langen Zeiträumen gedacht werden. Wie erfolgreich die Veränderungen sein werden und welchen nachhaltigen Einfluss sie auf die Natur und das Klima nehmen können, zeigt sich frühestens nach fünf bis fünfzehn Jahren.

Die Herausforderung der kommenden Olivenölkampagne wird daher eine doppelte sein: zum einen an diesen Projekten festzuhalten und sie schneller voranzubringen, zum anderen mit einem Bündel von ökonomisch wirksamen, kleinteiligen und solidarischen Maßnahmen die notwendigen Preiserhöhungen in einem Rahmen zu halten, der es allen ermöglicht, weiterhin genießerische Freunde des Olivenöls zu bleiben.

Erste Ansätze

· Mit der Erweiterung des Ein-Euro-Museumstalers zum Ein-Euro-Klimataler stärken wir die ökonomische Basis für landwirtschaftliche Transformationsprojekte, die wir zunächst auf den arteFakt Museums- und Patenschafts-Olivenhainen in Apulien und auf Kreta als Pilotstudien durchführen. Bei jeder Bestellung kann das hier gern mit nur einem Euro als Spende unterstützt werden.

· Mit der Einrichtung des Social-Partnership-Fonds zur Gewährung des Kaufs eines Jahresvorrates auf Raten für jene, deren monatliches Budget die Reserve dafür nicht hergibt, stärken wir den gemeinschaftlichen Zusammenhalt auch der Konsumenten und Konsumentinnen untereinander. Zum Füllen des Fonds haben bereits fast einhundert arteFakt-Freunde ein zinsfreies Kleindarlehen von ein- bis zweihundert Euro für ein Jahr zugesagt und weitere Geber*innen sind herzlich willkommen.

· Dimitrios Sinanos würden wir gern behilflich sein hier in Deutschland eine vorübergehende Arbeit zur ökonomischen Kompensation seines Ernteausfalls zu finden. Dimitrios spricht passabel englisch, ist ein landwirtschaftlich und maschinentechnisches Multitalent mit unternehmerischen Selbstorganisationsfähigkeiten. In Griechenland würde er damit spielend einen Aushilfsjob finden, allerdings nur mit max. 1.000 Euro im Monat bezahlt, was seine finanzielle Notlage nicht löst. Die erneute Einrichtung eines OlioSoli lehnt Dimitrios ab. Seine Bilanz der letzten sechs Jahre, mit zwei guten, zwei mittelguten Ernten und zwei Totalausfällen und jetzt wieder einem Totalausfall, lassen ihn grundsätzlicher über seine Zukunft als Olivier nachdenken. Dimitrios will seine und die Existenz seiner Familie nicht auf Spenden gründen müssen, „ich kann arbeiten“ sagt er „und mir damit die nötigte Zeit verschaffen Wege zu suchen, wie es weitergehen kann“.

· Auch für Ioannis, Maria und Niko Fronimakis fällt mit dem Ernteausfall ein Jahreseinkommen weg. Mit der Entwicklung einer Aprikosen-Konfitüre, als Reaktion auf den ersten Ernteausfall von Dimitrios, konnten wir 2014 etwas Abhilfe für ihn verschaffen. Eine ähnliche Idee kam uns bei unserem kürzlichen Besuch bei der Familie Fronimakis. Der klimabedingt immer frühere Reifungsprozess der Oliven lässt uns länger schon das beliebte native Wildfenchel-Olivenöl nicht mehr herstellen. Die jungen Farne des Wildfenchels beginnen erst mit dem Regen im Januar aus dem Boden zu sprießen, dann wenn es jetzt keine Oliven mehr gibt. Was könnte mit dem aromatisch sehr feinen Wildfenchel stattdessen hergestellt werden, das war unsere Frage. Beim Abendessen ergab sich eine Idee, als der auf Kreta beliebte Rote Beete-Salat mit Feta auf den Tisch kam. Ihn zu einem Paté mit Wildfenchel zu verarbeiten könnte ein ebenso leckeres Ersatzprodukt wie die Aprikosen-Konfitüre werden. Wir warten noch auf die ersten Wildfenchelfarne Anfang Januar und dann kann es losgehen.
Wer Dimitrios Sinanos und der Familie Fronimakis bei ihren Vorhaben behilflich sein möchte und kann, wende sich unter der Rufnummer 0172.4241136 oder per Email: c.boelicke@arteFakt.eu an uns.

 

Der Rutsch ins neue Jahr wird nicht für alle ein leichter werden, lassen Sie uns gemeinsam daran mitwirken, dass es aber auch für sie ein gutes werden wird. Im Januar werden wir hierzu weitere Vorschläge zur Diskussion stellen. Ein Glas ist halb leer oder halbvoll, so bringen schwierige Zeiten immer auch etwas Spannendes mit sich, weil Neues gedacht und gemacht werden kann. In diesem Sinne wünsche wir uns eine kreative, mutige und mutmachende Debatte über Lösungsideen und -beiträge dazu in den nächsten Monaten bis zum Beginn der 26. Olivenölkampagne im März 2024.

Mit freundlichen und genossenschaftlichen Grüßen

Ihr
arteFakt Vorstand

  1. Sigrun Gronau 18.01.2024 at 01:39 #

    ja, ich bin dankbar beim zweiten click doch noch einen traurigen aber ausführlichen Bericht zum ergehen der oliviers gefunden zu haben, auch wenn aus zweiter Hand.

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