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Die Erde gehört sowohl denen, die nach uns kommen, wie auch uns.
(John Ruskin 1819-1900, Schriftsteller, Maler, Kunsthistoriker, Sozialökonom und Sozialreformer)
Am Anfang von arteFakt vor 25 Jahren stand zunächst ein nur auf drei Jahre angelegtes Aktionsforschungsvorhaben (Forschen durch teilnehmendes beobachten), um eine didaktische Methodik zu Unternehmensgründungen von freigesetzten Arbeitnehmer*innen zu erproben und neue und selbstbestimmte Wege ihrer zukünftigen Arbeit zu entwerfen. Ein Zeitungsartikel in der „Welt“ im Jahre 1996 über den enormen Umfang des mafiösen Betrugs bei Erzeugung und Vertrieb von Olivenöl brachte mich auf die Idee, dieses Produkt als Beispiel in den Mittelpunkt des Vorhabens zu stellen.
Bereits kurze Recherchen offenbarten die ökonomischen und sozialen Folgen des Betrugs. In allen mediterranen Ländern konnten Olivenanbauer und Olivenölerzeuger nicht mehr auch nur die Rohkosten ihrer Arbeit erlösen, was bis auf wenige Ausnahmen bis heute anhält. Das führt dazu, dass man an überkommenden Praktiken festhält, was wiederum – abgesehen von der ökonomischen Perspektivlosigkeit – eine Landflucht der jungen Generationen begünstigt. Das ist ein Prozess, den die Landwirtschaft in unseren Breiten mit dem „Bauernlegen“ und dem Übergang von kleineren und familiengeführten Höfen zu großflächiger, industrieller und monokultureller Landwirtschaft lange schon hinter sich hat. Die sichtbaren Auswirkungen dieser Entwicklung sind heute der Verlust an Biodiversität, an gesunden und natürlichen Bodenkulturen und durch den hohen Chemieeinsatz eine Belastung bis in die Beschaffenheit der Nahrungsmittel hinein und mit immer stärkeren Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima. In den mediterranen Ländern geht das einher mit der Zerstörung einer über hunderte von Jahren gewachsenen, einzigartigen Kulturlandschaft.
Die Vorstellung, als Westberliner Greenhorn dieser Entwicklung etwas entgegen setzen zu können, war aus dem Zeitgeist geborenen, einer Mischung aus städtischer Romantik von ursprünglichen Natur, der politischen Helferhaltung aus dem „reichen“ Norden für den “armen“ Süden, den es nicht nur in der Dritten Welt gab, sowie einer Achtung und auch gewissen Demut gegenüber der langen Kulturgeschichte des Olivenbaums, die bis zurück in die Zeit der Entstehung des Alten Testaments reicht. Dazu kam die Willensstärke, mit ungestümer rebellischer Kraft auszubrechen, um für eine andere Zukunft zu kämpfen und Alternativen zu den destruktiven Praktiken zu finden. Die achtziger und neunziger Jahre waren auch in Westberlin unternehmerische „Gründerjahre“, die wegen der „alternativen“ politischen Motivationen der Akteure als solche wenig wahrgenommen wurden. Ein Motivationstreiber war und ist bis heute das Konzept, mit einer neuen Qualität der Beziehungen von Verbraucher*innen und Erzeuger*innen die Umsetzung von Utopien erreichen zu können.
Olivenöl aus der Fettecke holen
Vielleicht begünstigte mich, dass ich nicht mit Olivenöl aufgewachsen war: Ich konnte einen anderen Blick auf die Olive werfen. Aber vielleicht war es auch der Zufall, dass ich das als ingenieurwissenschaftlich ausgebildeter Betrachter ungewohnte Fragen stellen konnte. Schnell war mir klar, dass die Olive nicht wie bisher als Fettlieferant – wie bei den Ölsaaten –gedacht werden müsste, sondern wie eine Weintraube, aus deren Sortenvielfalt Winzer genussvolle Getränke in ebenso großer Vielfalt erzeugen. Wie in der Traube entsteht der aromatische Extrakt bei Oliven nicht in den Kernen, sondern in den Fruchtzellen. Nur ganz wenige Früchte bilden in ihren Fruchtzellen Fettsäuren aus, die dann nicht nur Träger der Grundbaustoffe späterer Aromabildung sind, sondern auch die Träger der gesundheitlich wertvollen, sekundären und bioaktiven Begleitstoffe, weshalb wir Obst, Gemüse und Salat essen. Diesen verborgenen Schatz aus den über hundert verschiedenen autochthonen Olivensorten mediterraner Länder zu heben, wurde das Unternehmensziel. In den Rezeptempfehlungen sollte zukünftig nicht mehr 4 EL Olivenöl stehen, sondern 4 EL herzhaft grünfruchtiges Öl der Koroneiki-Olive oder feinaromatisch florales Öl der Nocellara del Belice. Für eine solche Perspektive fehlt es bis heute an allen wissenschaftlichen, ökonomischen, praktischen und auch politischen Voraussetzungen. Anders als beim Wein wurde die Olive nicht beforscht, es gibt fast keine wissenschaftliche Literatur und keine Schulen oder Studiengänge für eine Ausbildung. Durch einige Idealisten auch Quereinsteiger, die wie wir das zu ändern suchen, beginnt sich das in Ansätzen zu ändern. Es geht einher mit der Bildung eines noch kleinen Nischenmarktes.
Mit eigener Forschung und dem Aufbau der Vorstufe einer Olivenfachschule konnten wir bisher in dreizehn Regionen Spaniens, Italiens, Kroatiens und Griechenlands Olivenanbauer davon befreien, nur noch hilflose Rohstofflieferanten für den Massenmarkt zu sein. Die Erzeuger entwickeln sich mit der eigenen Wertschöpfung ihrer Oliven, den Winzern gleich, zu Olivers. Ohne eine Weiterentwicklung der Konsumenten zu Prosumenten, die als nachhaltige Investoren für diese Entwicklung und mit der Bereitschaft für eine adäquate und damit faire Bezahlung des Produkts fungieren, wären Olivenanbauer nur schwer für neue Wegen zu gewinnen gewesen.
In einer mittlerweile fast familiären Beziehung von Verbraucher*innen und Erzeuger*innen bietet arteFakt heute „Winzer-Olivenöle“ von dreizehn Familienbetrieben und Cooperativen an, hintern denen zum Teil ganze Dörfer stehen. Alle diese Oliviers haben bereits die Trennung von Anbau und Wertschöpfung durch den Besitz auch einer eigenen Olivenmühle aufheben können oder sind auf dem Weg dorthin. Neben den Investitionshilfen der arteFakt-Freunde stützen sie dabei Preise, mit denen sich auch Gewinne erwirtschaften lassen, somit Rücklagen für eigene Investitionskraft. In allen Betrieben sind die Kinder geblieben und führen die Arbeit ihrer Eltern fort, mit denen wir vor 25 Jahren begonnen haben. Diese Generation steht mit dem Klimawandel nun vor noch größeren Herausforderungen als ihre Eltern. Anders als bei ihren Eltern wird es nicht mehr reichen, dass sie allein sich ändern. Sie werden diese Herausforderungen als Gemeinschaften ihrer Region und ihrer Orte aufnehmen müssen. Die Aufgaben werden größer und komplexer als die bisherigen werden und auch wieder Neuland sein. Unterstützungen und Partnerschaften werden sich diesen Dimensionen anpassen müssen. Mit siebzig Jahren und als bisheriger alleiniger Gesellschafter der GmbH habe ich arteFakt daher als Mitgift für die mir nachfolgenden Generationen in eine Genossenschaft umgewandelt und eingebracht. Über achthundert arteFakt-Freunde und -Freundinnen sind mir dabei mit ihren Einlagen von über einer Million Euro bereits gefolgt. Diese Gelder werden nun in Klimaprojekte in den Regionen der Oliviers investiert. Die Transformation vom shareholder zum fairholder wird in vielen Bereichen notwendig werden, damit unsere Kinder und Enkelkinder es ebenso lebenswert haben werden, wie es meiner Generation beschieden ist.
Dip.-Ing. Conrad BölickeVorstand der arteFakt Handelsagentur für Erzeuger-Verbraucher-Ideen eG
Artikel im kürzlich bundesweit erschienenen Magazin der „Suter Dental Labor GmbH“. (17. Ausgabe, Quelle)