Es ist wohl richtig, dass wir nach siebzig Jahren „Schönwetterdemokratie“, in der es – mit leichten Dellen – immer aufwärts gegangen ist, erstmals vor eine unerwartete, sehr ernste Situation gestellt werden, bei der wir als Gesellschaft erst noch beweisen müssen, dass wir „auch Krise können“, ohne uns und unsere errungenen Standards dabei zu verlieren.
Frühzeitig möchten wir beginnen, uns mit Ihnen über unsere Möglichkeiten auszutauschen, wie wir miteinander diesen Herausforderungen unter uns bei arteFakt begegnen können.
Als Robert Habeck davon sprach, dass wir in der nächsten Zeit wohl ärmer würden, wollte er damit in den anstehenden Debatten eher frühzeitig auf den Ernst der Entwicklungen hinweisen als ankündigen, dass wir wirklich „arm“ würden. … weiterlesen
Widersprüchen nicht länger ausweichen
Seit Jahrzehnten debattieren wir über eine gerechte Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum, über einen Ausstieg aus grenzenlosem Ressourcenverbrauch und über eine Wirtschaftsweise im Einklang mit der Natur. Neben vielen anderen Initiativen waren auch wir mit arteFakt angetreten, hierzu positive, beispielhafte Beiträge zu leisten, Alternativen aufzuzeigen und sie praktisch wirksam werden zu lassen. Die aktuellen Zuspitzungen der politischen und klimatischen Ereignisse legen nun schonungslos offen, wie weit wir als Gesellschaft mit unserer Lebenswirklichkeit hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen, dem verfügbaren Wissen und den praktischen Möglichkeiten zurückgeblieben sind. Unsere Art des Wohlstandes, bei dem scheinbar alles jederzeit verfügbar ist und die Erfüllung aller Wünsche nur vom Kontostand abhängt, ist längst an ihre Grenzen gekommen. Diese Grenzen zu negieren, zu umgehen oder weiter zu verschieben, wird nun deutlich schwieriger werden.
Qualität statt Quantität
Wir werden zwangsläufig nicht ärmer, wenn wir – gerade in der jungen Generation – dem länger schon in Gang befindlichen Paradigmenwechsel, mit dem Reichtum als Qualität statt als Quantität begriffen wird, nun „zwangsweise“ mehr Raum geben müssen. Auch uns bei arteFakt wird das aufs Neue herausfordern. Wir werden Antworten darauf finden müssen, wie wir es möglich machen können, unsere entwickelten und errungenen Standards beizubehalten, auch wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür ungünstiger werden. Vordergründig werden dabei Preise eine noch größere Rolle als bisher schon spielen – das geschieht ja bereits. Individueller Konsum wird in größerem Maße vom individuellen Grenznutzen abhängen – ab wann möchte oder kann ich mir dies oder das nicht mehr leisten?
Verändern und bewahren nicht als Widerspruch
Wir sind also herausgefordert, auf die ungewohnten Entwicklungen kreativ zu reagieren, ohne die Qualität der Produkte und der Beziehungen zu senken oder die faire Bezahlung der Erzeuger einzuschränken. Wir werden weiterhin keine Niedriglöhne und prekären Arbeitsverhältnisse bei arteFakt zulassen und das solidarische Konzept der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft dafür als Basis bewahren. Daher überprüfen wir jetzt auch unsere möglichen innerbetrieblichen Reserven, die für eine Preisstabilität geschöpft werden können, ohne dabei gegen unsere Prinzipien zu wirken. Eine gesunde wirtschaftliche Ertragskraft des Olivenölvertriebs muss dabei aber weiterhin erlangt werden können.
Erste Ideen zur Debatte
Mit ersten Ideen und Vorschlägen möchten wir aufzeigen, welche noch nicht genutzten Spielräume darüber hinaus Einfluss auf individuelle Grenznutzenentscheidungen nehmen und unseren Zusammenhalt befördern können. Lässt sich z.B. mit individuellem Verhalten Einfluss auf einen individuellen Preis nehmen?
• Bestellung eines Jahresvorrats
Als Anreiz zum Kauf eines Jahresvorrats können die Preise in den Kampagnenzeiten günstiger sein, als außerhalb der Kampagnenzeiten. (Unsere Kampagnenzeiten sind ab Mitte März, April bis Ende Mai im Frühjahr und Oktober, November im Herbst)
Warum günstiger? Zu Beginn vor 25 Jahren begründete es unser Kampagnenkonzept, dass unser Olivenöl über das Jahr immer aus dem gleichen aktuellen Erntejahrgang kommt und in dem Weißblechkanister bzw. der Bag-in-Box die Qualität auch gut durch eine eigene Lagerung im privaten Haushalt erreicht wird. Großpackungen sind dabei nicht nur im Preis günstiger, sie weisen auch eine deutlich bessere ökologische Stoff- und Energiebilanz auf. Die Gründe gelten heute immer noch, die Lebensentwicklungen mit verändertem Konsumverhalten haben das Kampagnenprinzip über die Jahre aber zurückgedrängt. Heute müssen wir mit der Ausweitung des Kaufs von Kleingebinden unserer Struktur der Olivenölkampagne daher das ganze Jahr über aufrechterhalten. Hier könnten wir Spielräume in der Preisgestaltung für die Kampagnenzeit wieder zurückgewinnen.
• Das alte „Quelle“-Modell reaktivieren
Es werden sich wohl nur noch die älteren Jahrgänge unter uns daran erinnern können, denn den Versandhändler „Quelle“ gibt es schon länger nicht mehr. Neben dem Postversand gab es damals eine Vielzahl von Abholstationen in der Nachbarschaft, die nicht nur von Geschäften sondern auch von privaten Personen angeboten wurden. Das war ein kleiner Nebenverdienst, bestellt und bezahlt wurde weiterhin bei Quelle, das Paket konnte man sich dann aber bequem in der Nachbarschaft abholen und musste sich nicht mit dem Benachrichtigungsschein nach dem Feierabend oder am Samstag am Postschalter in die Warteschlange einreihen. Wer sich jetzt wegen der gestiegenen Kosten und der Inflation öfter zwischen dem Wollen und dem Können entscheiden muss, könnte mit einer solchen Abholstation für unser Olivenöl einen Ausweg finden.
Warum günstiger? Je nach der Ausformung des Modells könnten wir wahrscheinlich auf die Portokosten bei einer Bestellung verzichten. Die ökonomischen Einspareffekte werden sich wesentlich durch die Einsparung der Einzelverpackungsmaterialien ergeben, die sehr deutlich im Preis gestiegen sind und deren Verfügbarkeit auf absehbare Zeit schwierig bleiben werden. Auch die Personalkosten der Einzelpaketverpackung zugunsten einer palettierten Versendung an die Abholstation werden geringer und eröffnen vielleicht die kostenneutrale Finanzierung der Provision für die Abholstationen. Es könnte sein, dass hier die ökologischen und sozialen Effekte gegenüber betriebswirtschaftlicher Einzelbetrachtung überwiegen, was aber natürlich auch wunderbar zu einer Konsumgenossenschaft passt.
Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen und weitere Ideen und Vorschläge.